Der Anstoß kam noch von Pfarrer Karl-Heinz Fischer: Neben seiner Arbeit für die Polizei beschäftigte sich Reiner Wisker schon seit langer Zeit mit Ahnenforschung und den Treiser Kirchenbüchern. Nun, fast 25 Jahre später sind die 16 Treiser Kirchenbücher ab 1658 nicht nur digitalisiert, sondern auch im Internet abrufbar. Alteingesessene Treiser können also ganz bequem von zuhause aus Ahnenforschung betreiben. Doch was brachte Reiner Wisker dazu, diesen zeit- und nervenraubenden Job zu übernehmen? Die Tollkirche war bei ihm und hat ihn zu seiner Arbeit befragt.
Tollkirche: Wie bist du dazu gekommen, dich um die Treiser Kirchenbücher zu kümmern?
Reiner Wisker: Anfang der 90er habe ich den damligen Pfarrer Karl-Hein Fischer angesprochen, ob ich nicht einmal in die Kirchenbücher schauen dürfte. Daraufhin sagte er mir, er gebe diese nicht gerne aus der Hand. Als er sie mir dann zeigte, hab ich das verstanden: Sie sind wirklich in keinem guten Zustand. Irgendwann suchte er dann jemand, der die Daten aus den Büchern in den Computer eingibt. Ich kannte ja inzwischen die Bücher, das bot sich also an. Mir war aber auch bewusst, dass ich mit mindestens zehn Jahren Arbeit zu rechnen hatte. Damit bin ich auch fast hingekommen.
Tollkirche: Wie hast du das zeitlich hinbekommen und mit deinem Privat- und Berufsleben vereinbart?
Reiner Wisker: Ich habe vor allem abends nach der Arbeit daran gesessen, die Daten aus den Büchern in das Programm einzugeben, das mir von Pfarrer Fischer zur Verfügung gestellt worden war. Während meine Frau Fernsehen geschaut hat, habe ich mit den großformatigen Büchern den ganzen Esstisch in Beschlag genommen. Ich habe Ausdrucke von den Datenblättern aus dem Computerprogramm übereinandergelegt, ausgeschnitten und zusammengeklebt, um Bezüge zwischen Einzelpersonen und Familien herzustellen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich die dafür nötige Konzentration nicht stundenlang aufbringen kann. Sobald Zahlendreher und Fehler passierten, wusste ich: Jetzt musst du aufhören. Durchschnittlich habe ich vermutlich etwa eine Stunde pro Tag daran gearbeitet.
Tollkirche: Wie ist denn so ein Kirchenbuch eigentlich aufgebaut?
Reiner Wisker: Jedes Buch ist unterteilt in drei Kapitel, nämlich Taufen, Hochzeiten und Bestattungen. Unsere Kirchenbücher sind bis 1774 gemeinsam für Treis und Sichertshausen geführt worden, da Sichertshausen früher zum Kirchspiel Treis gehört hat. Daher ist in den frühen Büchern jedes Ereignis zusätzlich noch mit einem T oder S gekennzeichnet, um die beiden Orte zu unterscheiden.
Tollkirche: Was waren die größten Schwierigkeiten bei der Digitalisierung?
Reiner Wisker: Das Computerprogramm hatte zwar eine Plausibiltätsprüfung. Zum Beispiel wurde mir als Fehler angezeigt, wenn eine über 80jährige Frau angeblich ein Kind bekommen haben soll. Die Arbeit mit dem Programm funktionierte daher ganz gut. Schwierig war aber die Namensgleichheit, die es damals überall gab. Wenn etwa Heinrich Klein drei Söhne hatte, wurden diese nach den Paten benannt, die zum Beispiel seine Brüder Philipp, Wilhelm und Ludwig Klein gewesen sein können. Da diese jeweils auch bei Kindern anderer Brüder wieder als Paten fungierten, gab es schnell drei oder vier Philipp Kleins in ein- und derselben Familie. Vor allem bei Familiennamen, die in Treis sehr häufig sind, stiftet das schnell Verwirrung.
Tollkirche: Wie war denn angesichts dieser Umstände dein Vorgehen? Wie hast du dir einen Überblick verschafft?
Reiner Wisker: Der Anfang war besonders schwierig. Zuerst einmal habe ich sämtliche Ehen herausgeschrieben, um dann in einem zweiten Schritt Kinder zu ihren Eltern zuordnen zu können. Mit der Zeit kann man dann immer mehr Personen miteinander verknüpfen. Als erst einmal dieser Grundstock nach ungefähr einem Jahr geschafft war, ging es ein wenig besser voran. 2002 habe ich dann das erste Treiser Familienbuch mit Einträgen von 9.000 Personen veröffentlicht, sodass ein Teil der Daten schon der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Später kam dann der zweite Band mit 12.000 Personen heraus.
Tollkirche: Wie bist du mit der altdeutschen und lateinischen Schrift zurecht gekommen?
Reiner Wisker: Für mich war das eigentlich nicht so schwer. Einige jüngere Ahnenforscher tun sich wesentlich schwerer damit. Mein Vorteil war, dass ich jedes Kirchenbuch von vorne nach hinten durchgearbeitet habe. Anfangs hat der Pfarrer immer noch sehr ordentlich geschrieben. Erst mit der Zeit wurde es immer unleserlicher. Bis dahin hatte ich aber schon genug Zeit, mich einzulesen und kam damit dann ganz gut zurecht.
Natürlich änderte sich die Schrift mit den Jahren. Zuerst wurde noch lateinisch geschrieben, später dann in deutscher Schrift. Dabei hat mir sicherlich geholfen, dass ich in der Schule noch Latein und die deutsche Schrift gelernt habe. Insgesamt hatte ich mir das eigentlich schlimmer vorgestellt.
Tollkirche: Wie kam es schließlich zu der Idee, die Daten ins Internet zu stellen und sie jedem zugänglich zu machen?
Reiner Wisker: Ich habe letztes Jahr zufällig gesehen, dass man Familienbücher online einsehen kann und seine Vorfahren recherchieren kann. Das habe ich für praktisch empfunden und habe daraufhin Andreas Lenz angesprochen, der mir auch immer zur Seite stand, wenn es Probleme gab. Durch seinen Studienurlaub Anfang des Jahres hat sich das alles verzögert, aber nachdem auch der Kirchenvorstand seine Zustimmung gegeben hat, konnte ich Kontakt zu dem Betreiber der Plattform, dem Verein für Computergenealogie aufnehmen und schließlich die Daten hochladen.
Tollkirche: Es gibt ja sicher viele Vorschriften in Datenschutzgesetzen, die beachtet werden müssen. Wie bist du damit umgegangen?
Reiner Wisker: Hilfreich war sicher, dass ich als Polizist schon beruflich ein wenig in Berührung mit Datenschutz gekommen war. Das meiste Wissen darüber habe ich mir allerdings im Internet selbst angelesen. Das war recht aufwendig, weil es einfach so viele verschiedene Gesetze auf Bundes- und Landesebene sowie im Kirchenrec
ht gibt.
Tollkirche: Was würdest du dir wünschen, wie man in Zukunft mit den Kirchenbüchern umgeht?
Reiner Wisker: Aus meiner Sicht können sie erst einmal weiterhin im Gemeindehaus aufbewahrt werden. Ich halte es für illusorisch, dass alle Kirchenbücher im Zentralarchiv der EKHN in Darmstadt gelagert werden können. Sie müssten aber vor unbefugtem Zugriff sowie vor Wasser und Feuer geschützt gelagert werden.
Tollkirche: Hast du irgendeine Erklärung dafür, dass sich jüngere Leute kaum für ihre Vorfahren interessieren?
Reiner Wisker: Nein, aber es trifft auch nicht auf alle zu. Für einen mir bekannten jungen Mann zum Beispiel habe ich Vorfahren aus Dänemark ermittelt.
Tollkirche: Du selbst hast deine Vorfahren bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen können. Warum macht man so etwas?
Reiner Wisker: Aus Langeweile hatte ich mal mit einem Stammbaum angefangen, habe dann durch Kontakte zu anderen Familienmitgliedern immer mehr erfahren und konnte irgendwann nicht mehr aufhören. Ein Bekannter, selbst auch Ahnenforscher, hat mir einmal gesagt: Junge, ich sag dir: Ahnenforschung macht süchtig. Wenn du einmal damit angefangen hast, kommst du nicht mehr davon los.